Chronische zerebrale Ischämie: Wo die „evidenzbasierte Medizin“ die Patienten im Stich lässt
Hintergrund und Bedeutung: Die Veröffentlichung der COSS (Carotid Occlusion Surgery Study)-Studie im Jahr 2011 kam zu dem Schluss, dass die Hinzufügung eines Bypasses von der externen zur internen Karotis (EC-IC) zu einer medizinischen Behandlung „das Risiko eines ipsilateralen ischämischen Schlaganfalls nach 2 Jahren nicht verringert“ bei Patienten mit symptomatischem Verschluss der internen Karotisarterie. Dies hat dazu geführt, dass unter dem Deckmantel der „evidenzbasierten“ Medizin immer weniger Überweisungen zur chirurgischen Behandlung erfolgen. Die Schlussfolgerungen, die aus einer Studie gezogen werden, können nur so gut sein wie die ausgewählten Endpunkte. In der COSS-Studie wurden wichtige Endpunkte wie die Auswirkungen einer langfristigen zerebralen Ischämie oder wiederkehrende, schwächende transitorische ischämische Attacken (TIAs) nicht berücksichtigt. Dennoch wird die Studie oft als „Beweis“ dafür zitiert, dass der EC-IC-Bypass keine Rolle bei der Behandlung dieser Patienten spielt.
Klinische Präsentation: Ein Patient mittleren Alters stellte sich bei einem primären Neurologen mit linksseitiger Schwäche und seit 2 Monaten bestehenden Persönlichkeitsveränderungen vor. Die Magnetresonanztomographie (MRT) zeigte kleine Wasserscheideninfarkte in der rechten Hemisphäre. Ein Angiogramm zeigte einen Verschluss der rechten Karotis. Perfusionsscans bestätigten eine Hypoperfusion. Der Patient wurde medikamentös behandelt. Ohne weitere klinische Schlaganfallereignisse entwickelte sich der Patient in den nächsten 5 Monaten zu einem vollständigen Hemisphäreninfarkt im MRT.
Schlussfolgerung: Die öffentliche Wahrnehmung der Ergebnisse großer randomisierter klinischer Studien wird durch deren allgegenwärtige Verbreitung und breite Verallgemeinerung ohne angemessenes Verständnis der Details erheblich beeinträchtigt. Eine sorgfältige Bewertung der Methodik und der Endpunkte einer Studie ist unerlässlich, wenn die Ergebnisse für eine evidenzbasierte Medizin auf einzelne Patienten angewendet werden sollen. Diese Patientin wäre in der COSS-Studie als medizinischer „Erfolg“ eingestuft worden, aber ihr Ergebnis nach einem chirurgischen Eingriff wird nie bekannt werden.