Der traurige Zustand der deutschen Streitkräfte
Die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump – und die anschließende Bestätigung -, dass er die 35.000 in Deutschland stationierten US-Truppen um 28 Prozent reduzieren wird, löste eine Flut von Kritik aus. Und obwohl die US-Politik so parteiisch ist wie eh und je, waren unter den Kritikern sowohl Demokraten als auch Republikaner.
Diejenigen, die Trumps Ankündigung kritisierten, warfen ihr vor, die deutsche Regierung überrumpelt zu haben, und Gesetzgeber im Bundestag nannten die Ankündigung des Präsidenten „bedauerlich“, ja sogar „völlig inakzeptabel“. Die Entscheidung sei ohne erkennbare Abstimmung zwischen den außen- und sicherheitspolitischen Ämtern getroffen worden und scheine nicht von einer größeren Strategie geleitet zu sein.
Diese Kritik weist auf ein bekanntes Problem hin. In der Trump-Administration werden Impulse zu oft mit Politik gleichgesetzt. Dennoch macht es sich Deutschland zu leicht, wenn man sich nur auf Trumps abrupte Entscheidung konzentriert. Sie verdeckt den größeren Zusammenhang dieser Kontroverse, nämlich wie die NATO heute funktioniert und welche Rolle Europa darin spielt.
Zunächst einmal sind die deutschen Streitkräfte in einem beklagenswerten Zustand, und das liegt nicht daran, dass Deutschland, das für die Wirksamkeit der NATO als kollektiver Verteidigungspakt wichtiger ist als jeder andere europäische Mitgliedstaat, nicht über die Mittel verfügt, dieses Problem zu lösen. Das ist nicht der Fall.
Deutschlands Bruttoinlandsprodukt, das auf 4 Billionen Dollar geschätzt wird, steht an vierter Stelle in der Welt und an erster Stelle in Europa. Das Land ist auch das technologische Kraftzentrum Europas. Das Weltwirtschaftsforum bezeichnete es 2018 als weltweit führend in der technologischen Innovation.
Und doch ist das deutsche Militär nach wie vor mit Problemen behaftet. Ein vernichtender Bericht des damaligen Wehrbeauftragten des Bundestages, Hans-Peter Bartels, aus dem Jahr 2019 bringt das Problem auf den Punkt.
Die Zahl der Rekruten in der Bundeswehr ist rückläufig und sank 2018 auf einen noch nie dagewesenen Wert von 20.000 – ein Trend, der sich nicht umkehren lässt. Außerdem bleiben Tausende von Offiziers- und Unteroffiziersstellen unbesetzt. Im Anschluss an den NATO-Gipfel in Wales 2014 hatte die Bundesregierung vorgeschlagen, die Zahl der Soldaten bis 2025 auf 198.500 zu erhöhen, aber angesichts des düsteren Rekrutierungstrends ist das ein Wunschtraum.
Der Bartels-Bericht wies auch auf andere gravierende Probleme hin. Kritische Ausrüstungsgegenstände wie Schutzwesten, Nachtsichtgeräte, Funkgeräte für die sichere Kommunikation und Transporthubschrauber bleiben chronisch knapp, ebenso wie Ersatzteile. Infolgedessen haben die Luftwaffe, das Heer und die Marine Probleme mit der Ausbildung und der Einsatzbereitschaft. Sie sind mit „Kampfjets und Hubschraubern konfrontiert, die nicht fliegen können. Schiffe und U-Boote, die nicht segeln können“, heißt es in einem Artikel in Politico aus dem Jahr 2019. Andere Einschätzungen verweisen ebenfalls auf den steilen Rückgang der Anzahl von Panzern und Kampfflugzeugen aufgrund von Kürzungen bei der Beschaffung.
Vielleicht am peinlichsten ist, dass die Entwicklung der Fregatte der F-125 Baden Württemberg-Klasse, dem viel gepriesenen Ersatz für die F-122 Bremen-Klasse, ins Stocken geraten ist. Die Arbeiten begannen 2007, aber eine Reihe von Software- und Hardwareproblemen verzögerten die Seeerprobung bis 2017, woraufhin das Schiff als nicht einsatzfähig eingestuft wurde. Obwohl das Führungsschiff schließlich 2019 in Dienst gestellt wurde, gilt die Fregatte weithin als unfähig, den Auftrag zu erfüllen, der ihr ursprünglich zugedacht war: die Durchführung langwieriger Operationen in weit entfernten Gebieten, während die Bedrohung durch Flugzeuge, Zerstörer und U-Boote des Gegners abgewehrt werden muss.
In vielerlei Hinsicht sind die Misserfolge des deutschen Militärs auf unzureichende Verteidigungsausgaben zurückzuführen. Auf dem Treffen in Wales 2014 einigten sich Deutschland und Washingtons andere NATO-Verbündete darauf, bis 2024 mindestens 2 Prozent ihres jeweiligen BIP für Verteidigungsausgaben aufzuwenden. Bis 2019 hatten jedoch nur sieben der 29 Mitglieder des Bündnisses (mit dem Beitritt Nordmazedoniens in diesem Jahr sind es nun 30) das Zwei-Prozent-Ziel entweder erreicht oder überschritten. Griechenland war mit 2,24 Prozent am weitesten fortgeschritten. Deutschland lag bei 1,36 Prozent.
Das Eingeständnis von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2018, dass Deutschland die 2-Prozent-Marke nicht erreichen würde, erzürnte Trump, und seine Gefühle wurden von seinem Botschafter Richard Grenell, der sich als Bulle im Porzellanladen aufspielte, gebührend an Berlin weitergegeben.
Trump hat seinen Unmut meist als Versagen der Lastenteilung in der NATO dargestellt. Aber vielleicht noch schwerwiegender ist, dass niedrige Militärausgaben im Verhältnis zum BIP auf ein mangelndes Engagement für die nationale Verteidigung hindeuten. Solche Ausgaben mögen nach dem Kalten Krieg eine Zeit lang weniger wichtig gewesen sein, aber jetzt haben sich die Umstände geändert, und eine NATO, die ohne eine ernsthafte Bestandsaufnahme weitersegelt, wird in Schwierigkeiten geraten.
Die Vereinigten Staaten dominieren nicht mehr. Die Amerikaner sind zunehmend besorgt über eine Reihe von schwelenden Problemen im eigenen Land, und COVID-19 und die darauf folgende Wirtschaftskrise werden ihre Sorgen noch verstärken. Das Land ist möglicherweise weniger in der Lage oder bereit, Europa zu helfen. In der Zwischenzeit hat der russische Präsident Wladimir Putin erhebliche Investitionen in die Stärkung der russischen Militärmacht getätigt.
Vor diesem Hintergrund ist der Vorschlag, dass Europa sich selbst verteidigen sollte, nicht zuletzt, weil die europäischen NATO-Mitglieder zusammen ein BIP von 18 Billionen Dollar haben, verglichen mit Russlands 1.
Alle Europäer, und nicht nur die Deutschen, täten daher gut daran zu verstehen, dass die Uneinigkeit innerhalb der NATO über die Lastenteilung nicht auf magische Weise verschwinden wird, wenn Trump die Präsidentschaftswahlen im November verliert. Sein Plan oder seine Drohung – nennen Sie es, wie Sie wollen -, die US-Militärpräsenz in Deutschland zu reduzieren, stellt eine besonders belastende Konkretisierung der seit langem bestehenden Reibungen innerhalb der NATO dar. Und die Veränderungen, die in den Vereinigten Staaten und in der Machtverteilung in der Welt eingetreten sind, werden die Streitigkeiten noch verschärfen und es schwieriger machen, sie zu glätten.
So viel ist klar: Wenn die unzureichenden Militärausgaben Europas nicht angegangen werden, könnten sie die Zukunft des Bündnisses gefährden, und die üblichen Appelle an die gemeinsamen Werte und die geheiligte Tradition des Euro-Atlantizismus werden nicht ausreichen, um es zusammenzuflicken. Auch nicht der eventuelle Abgang von Trump.