Ein Fall von chronischer Ethylenglykol-Intoxikation ohne klassische Stoffwechselstörungen

Abstract

Eine akute Ethylenglykol-Intoxikation äußert sich klassischerweise durch eine Azidose mit hoher Anionenlücke, eine erhöhte osmolare Lücke, einen veränderten Geisteszustand und akutes Nierenversagen. Die chronische Aufnahme von Ethylenglykol ist jedoch eine schwierige Diagnose, die sich als akute Nierenschädigung mit unauffälligen körperlichen Befunden und ohne die klassischen Stoffwechselstörungen darstellen kann. Wir stellen einen Fall von chronischer Einnahme von Ethylenglykol bei einem Patienten vor, der sich mit einer akuten Nierenschädigung vorstellte und eine Exposition wiederholt verneinte. Die Nierenbiopsie war entscheidend für die Klärung der Ursache seiner sich verschlechternden Nierenfunktion.

1. Einleitung

Ethylenglykol ist eine farblose, geruchlose, süßlich schmeckende Chemikalie, die in Produkten wie Frostschutzmittel für Kraftfahrzeuge, Scheibenwischerflüssigkeit, Lösungsmitteln, Reinigungsmitteln und anderen Industrieprodukten enthalten ist. Die Einnahme kann unbehandelt zu einer Depression des zentralen Nervensystems, zu Organdysfunktionen und schließlich zum Tod führen.

In der akuten Situation der Einnahme von Ethylenglykol wird die Diagnose bei einer vergifteten Person durch eine ausgeprägte metabolische Azidose mit Anionenlücke, eine erhöhte osmolare Lücke und einen erhöhten Ethylenglykolspiegel bestätigt. Die chronische Aufnahme kleiner Mengen von Ethylenglykol stellt jedoch ein diagnostisches Rätsel dar, da Laborstörungen häufig fehlen und die körperlichen Symptome geringfügig sein können. Bisher gibt es nur sehr wenige Fallberichte, die die chronische Einnahme von Ethylenglykol beschreiben.

Eine Durchsicht der Literatur zeigt gemeinsame Themen bei der chronischen Einnahme von Ethylenglykol. Die Patienten weisen eine akute Nierenschädigung und eine leicht erhöhte Anionenlücke auf, die sich mit minimalen Maßnahmen bessern. Sie beschreiben abdominale Beschwerden, die von Übelkeit, Erbrechen und Durchfall bis hin zu abdominalen Krämpfen reichen.

Wir stellen einen Fall von chronischer Einnahme von Ethylenglykol bei einem Patienten vor, der sich mit einer unerklärlichen akuten Nierenschädigung, abdominalen Beschwerden und einer Anionenlückenazidose vorstellte, die sich mit einer unterstützenden Therapie schnell besserte. Letztendlich war eine Nierenbiopsie unerlässlich, um die Ursache für die Verschlechterung der Nierenfunktion zu ermitteln. Dieser Fall verdeutlicht, dass trotz fehlender Anamnese, minimaler Symptome und fehlender klassischer Laboranomalien ein hoher Verdacht auf eine Intoxikation bestehen muss.

2. Fallvorstellung

Ein 41-jähriger Mann mit einer Vorgeschichte von Bluthochdruck, Migräne, Schlaganfall und Depressionen kam in die Notaufnahme und klagte über fünf Tage anhaltende Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Die Erstuntersuchung in der Notaufnahme ergab einen Kreatininanstieg von 696 μmol/L (7,9 mg/dL) gegenüber einem Ausgangswert von 80 μmol/L (0,9 mg/dL) sechs Wochen zuvor. Seine Anionenlücke war auf 19 erhöht, aber ansonsten gab es keine Elektrolytanomalien. Seine ABG wiesen auf eine kombinierte metabolische Azidose und eine leichte respiratorische Azidose hin. Der pH-Wert lag bei 7,28, der HCO3-Wert bei 14,7 mmol/L (mEq/L) und der PCO2-Wert bei 32 mmHg. Der Patient war zu diesem Zeitpunkt nicht hypoxisch. Der Ca-Wert des Patienten lag am Tag seiner Aufnahme bei 9,2 mg/dL, mit ionisiertem Calcium von 4,6 mg/dL. Während seines Krankenhausaufenthalts wurde sein Kalziumspiegel täglich kontrolliert und lag stets im Normalbereich. Seine körperliche Untersuchung war unauffällig und seine Vitalparameter waren stabil. Er gab an, Atenolol gegen Bluthochdruck, Topiramat gegen Migräne sowie Clopidogrel und Simvastatin wegen eines Schlaganfalls in der Vorgeschichte einzunehmen. Er verneinte jeglichen Tabak-, Alkohol- oder illegalen Drogenkonsum und verneinte eine familiäre Vorgeschichte von Nierenerkrankungen.

Bei der Aufnahme war der Patient oligurisch und erhielt normale Kochsalzlösung mit 200 ml/Stunde. Innerhalb von 24 Stunden stieg seine Urinausscheidung auf >100 ml/Stunde und die Anionenlücke normalisierte sich. Trotz dieser Verbesserungen stieg sein Kreatinin weiter an und erreichte einen Spitzenwert von 1.370,2 μmol/L (15,5 mg/dL). Das Urinsediment zeigte unpigmentierte körnige Abdrücke ohne zelluläre Abdrücke oder Kristalle. Ein Nieren-Ultraschall ergab normal große Nieren ohne Hydronephrose oder Nephrolithiasis. Ein Magnetresonanzangiogramm der Nieren zeigte einen Verlust der kortikomedullären Differenzierung der Nieren, war aber ansonsten unauffällig. Die Komplementwerte waren normal, und die Serologien für ANA, Anti-GBM, ANCA, HIV und Hepatitis A, B und C waren negativ. Auch die Immunofixierung von Serum und Urin war unauffällig.

Während seines Krankenhausaufenthalts klagte der Patient weiterhin über Bauchschmerzen. Es wurde eine Computertomographie des Abdomens durchgeführt, die jedoch keinen intraabdominalen Prozess zeigte, der seine anhaltenden Schmerzen erklären könnte. Um die akute Nierenschädigung weiter abzuklären, wurde eine Nierenbiopsie durchgeführt.

Eine Kernprobe, die zur Mikroskopie vorgelegt wurde, zeigte mehrere Tubuli, die mit doppelbrechenden Oxalatkristallen gefüllt waren (Abbildungen 1(a) und 1(b)). Die Tubuli wiesen degenerative Veränderungen des Epithels auf, die durch eine Vergrößerung des Lumens, eine niedrige quaderförmige Epithelauskleidung und eine Vakuolisierung des Zytoplasmas gekennzeichnet waren. Das Interstitium zeigte eine leichte fokale Entzündung mit Infiltraten, die hauptsächlich aus mononukleären Elementen bestanden. Es gab keine Anzeichen einer aktiven Glomerulitis, und die Basalmembranen schienen normal dick zu sein. Die Immunfluoreszenz ergab keine glomerulären oder tubulointerstitiellen Färbungen für die Immunglobuline A (IgA), G (IgG) und M (IgM), C1q, C3, Albumin, fibrinverwandte Antigene oder Leichtketten. In der Elektronenmikroskopie werden in isolierten Kapillaren seltene unregelmäßige Elektronendichten im Subendothel beobachtet, von denen angenommen wird, dass sie eher Makromoleküle als Immunkomplexe einschließen.

(a)
(a)
(b)
(b)

(a)
(a)(b)
(b)

Figure 1

(a) Tubules packed with oxalate crystals. H&E staining, 20x magnification. (b) Birefringent oxalate crystals. H&E staining, 20x magnification, using polarized light.

A diagnosis of extensive oxalate crystal deposition in the tubules was made with associated signs of acute tubular injury and mild focal interstitial inflammation indicative of a hyperoxaluric state.

The patient was confronted about ingestion of ethylene glycol but he adamantly denied any intentional ingestions. With supportive care, the patient’s kidney function gradually improved and the metabolic acidosis resolved. Bei der Entlassung war der Patient nicht mehr oligurisch und hatte ein Kreatinin von 380 μmol/L (4,3 mg/dL).

Er wurde eine Woche später in der Nierenklinik gesehen und berichtete über anhaltende abdominelle Beschwerden und Übelkeit seit der Entlassung. Die Frage nach Ethylenglykol wurde erneut aufgeworfen, aber der Patient leugnete erneut jegliche absichtliche Einnahme von Giftstoffen. Bei einer Nachuntersuchung der Nierenwerte einen Monat nach seiner Krankenhauseinweisung wurde ein normalisiertes Kreatinin von 106 μmol/L (1,2 mg/dL) und normale Anionen- und Osmolaritätsabstände festgestellt. Eine ambulante Ösophagogastroduodenoskopie wegen der anhaltenden Bauchschmerzen ergab keine Ursache für seine anhaltenden Beschwerden.

Sieben Monate nach seiner ersten Einlieferung ins Krankenhaus wurde der Patient in die Notaufnahme gebracht, nachdem er in einem Hotelzimmer nicht mehr ansprechbar war. Er hatte vor kurzem Ethylenglykol und verschiedene Tabletten eingenommen, um sein Leben zu beenden. Sein mentaler Status war verändert. Die Laborwerte zeigten einen HCO3-Wert von 5 mmol/L (mEq/L) und ein Kreatinin von 159 μmol/L (1,8 mg/dL). Er hatte eine Anionenlücke von 25 und eine osmolare Lücke von 45. Im Urinsediment fanden sich Kalziumoxalatkristalle, und sein Ethylenglykolspiegel betrug 94 mg/dL (15,2 mmol/L). Der Patient wurde intubiert. Wegen der Ethylenglykol-Toxizität wurde eine sofortige Hämodialyse und Fomepizol eingeleitet. Sein Kreatinin erreichte einen Spitzenwert von 689,5 μmol/L (7,8 mg/dL). Bei der Extubation gab er an, in den vergangenen Monaten, einschließlich des Zeitraums vor seiner ersten Krankenhauseinweisung, chronisch kleine Mengen Ethylenglykol eingenommen zu haben. Bei der Entlassung aus dem Krankenhaus betrug sein Kreatinin 353,6 μmol/L (4 mg/dL). Er wurde in eine psychiatrische Einrichtung entlassen und konnte leider nicht mehr ambulant weiterbehandelt werden.

3. Diskussion

In den Vereinigten Staaten wurden den Giftnotrufzentralen im Jahr 2005 5.400 Ethylenglykol-Expositionen gemeldet; 700 davon waren absichtliche Einnahme. Wie andere Alkohole wird Ethylenglykol nach oraler Einnahme schnell und vollständig resorbiert und erreicht innerhalb von ein bis zwei Stunden die höchsten Serumkonzentrationen. Innerhalb von 12-24 Stunden wird es zu seinen toxischen Metaboliten Glykolsäure, Glyoxylsäure und Oxalat metabolisiert. Zu diesem Zeitpunkt bleibt aufgrund der Metaboliten eine Anionenlücke bestehen, aber die osmolare Lücke hat sich aufgelöst.

Daher kann eine Verzögerung der Einnahme dazu führen, dass keine osmolare Lücke entsteht. In ähnlicher Weise kann die Einnahme kleiner Mengen von Ethylenglykol zu einer nur geringen Anionenlücke führen. Zusammengenommen können diese Beobachtungen einen Kliniker davon abhalten, eine Ethylenglykol-Ingestion zu vermuten.

Während die Ethylenglykol-Vergiftung eine bekannte klinische Entität ist, die durch neurologische, pulmonale und kardiovaskuläre Symptome gekennzeichnet ist, ist die chronische Ethylenglykol-Ingestion weniger häufig und weist keine klassischen klinischen Ergebnisse auf. Im Nachhinein betrachtet waren die Symptome bei der Aufnahme unseres Patienten auf eine chronische Ethylenglykol-Ingestion zurückzuführen, eine Diagnose, die erst nach der Nierenbiopsie und seinem anschließenden Selbstmordversuch gestellt wurde. Bei der Durchsicht der Literatur haben wir einige häufige Symptome festgestellt, die dem Arzt helfen können, die Verdachtsdiagnose einer chronischen Einnahme von Ethylenglykol zu stellen, wenn die Laborbefunde nicht eindeutig sind und eine Biopsie nicht sofort angezeigt ist.

Die Patienten beschreiben im Allgemeinen abdominelle Beschwerden, die von Übelkeit, Erbrechen und Durchfall bis hin zu abdominalen Krämpfen reichen. Darüber hinaus können in der Anamnese Hinweise auf Drogenmissbrauch oder Stimmungsstörungen zu finden sein. Die anfänglichen Laborergebnisse können auf eine akute Nierenschädigung und eine metabolische Azidose mit Anionenlücke hindeuten, die sich mit minimalen medizinischen Maßnahmen beheben lässt. Eine osmolare Lücke ist möglicherweise nicht immer vorhanden, insbesondere wenn die Einnahme von Ethylenglykol minimal ist und die Vorstellung in einer medizinischen Einrichtung verzögert wird. Auch die Urinanalyse kann unauffällig sein.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Diagnose einer chronischen Einnahme von Ethylenglykol nicht einfach ist. Unser Patient stellte sich mit vagen abdominalen Beschwerden, einer akuten Nierenverletzung und einer metabolischen Anionenlückenazidose vor, die sich schnell besserten und auf eine Volumendepletion und akute Nierenverletzung zurückgeführt wurden. Letztendlich war eine Nierenbiopsie, bei der Oxalatkristallablagerungen festgestellt wurden, entscheidend für die Diagnosestellung. Trotz der Biopsieergebnisse leugnete unser Patient weiterhin die absichtliche Einnahme von Ethylenglykol, und erst nach seinem Selbstmordversuch gab er zu, wiederholt kleine Mengen eingenommen zu haben. Dieser Fall unterstreicht, wie wichtig es ist, trotz fehlender Expositionsanamnese und signifikanter Laborlücken einen hohen klinischen Verdacht auf chronische Einnahme von Ethylenglykol aufrechtzuerhalten, insbesondere bei Hochrisikopatienten mit einer Anamnese von Depressionen, Bauchschmerzen und ungeklärter akuter Nierenschädigung.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass es keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit der Veröffentlichung dieser Arbeit gibt.