Michelangelos geheime Botschaft in der Sixtinischen Kapelle: Eine Gegenüberstellung von Gott und dem menschlichen Gehirn

Im Alter von 17 Jahren begann er, Leichen aus dem kirchlichen Friedhof zu sezieren. Zwischen den Jahren 1508 und 1512 malte er die Decke der Sixtinischen Kapelle in Rom. Michelangelo Buonarrot – weltweit bekannt unter seinem Vornamen als einzigartiges künstlerisches Genie, Bildhauer und Architekt – war auch Anatom, ein Geheimnis, das er dadurch verbarg, dass er fast alle seine anatomischen Skizzen und Notizen vernichtete. Jetzt, 500 Jahre nachdem er sie gezeichnet hatte, wurden seine verborgenen anatomischen Illustrationen gefunden – gemalt an der Decke der Sixtinischen Kapelle, jahrhundertelang geschickt vor den Augen von Papst Julius II. und zahllosen Gläubigen, Historikern und Kunstliebhabern verborgen – im Körper Gottes.

Zu diesem Schluss kommen Ian Suk und Rafael Tamargo in ihrem Artikel in der Mai-Ausgabe 2010 der wissenschaftlichen Zeitschrift Neurosurgery. Suk und Tamargo sind Experten für Neuroanatomie an der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore, Maryland. 1990 veröffentlichte der Mediziner Frank Meshberger im Journal of the American Medical Association eine Arbeit, in der er Michelangelos Bilder entschlüsselte und zu der verblüffenden Erkenntnis gelangte, dass die Darstellung der Erschaffung Adams durch Gott in der zentralen Tafel an der Decke eine perfekte anatomische Abbildung des menschlichen Gehirns im Querschnitt ist. Meshberger vermutet, dass Michelangelo Gott mit einem Leichentuch umgeben hat, das das menschliche Gehirn darstellt, um anzudeuten, dass Gott Adam nicht nur mit Leben, sondern auch mit höchster menschlicher Intelligenz ausgestattet hat. In einer anderen Tafel, der Trennung von Licht und Dunkelheit (links), haben Suk und Tamargo noch mehr gefunden. In der Mitte von Gottes Brust, die seine Kehle bildet, haben die Forscher eine präzise Darstellung des menschlichen Rückenmarks und Hirnstamms gefunden.

Ist die Decke der Sixtinischen Kapelle ein 500 Jahre altes Rätsel, das erst jetzt zu lösen beginnt? Was wollte Michelangelo damit sagen, dass er den Kehlkopf Gottes aus dem Stammhirn des Menschen konstruierte? Ist es ein Sakrileg oder eine Huldigung?

Michelangelo brauchte vier Jahre, um die Decke der Sixtinischen Kapelle zu vollenden. Er ging von Osten nach Westen vor, begann am Eingang der Kapelle und endete über dem Altar. Die letzte Tafel, die er malte, stellt Gott dar, der das Licht von der Finsternis trennt. Hier berichten die Forscher, dass Michelangelo den menschlichen Hirnstamm, die Augen und den Sehnerv des Menschen in der Gottesfigur direkt über dem Altar versteckt hat.

Kunstkritiker und Historiker haben lange über die seltsamen anatomischen Unregelmäßigkeiten in Michelangelos Darstellung von Gottes Hals in dieser Tafel und über die uneinheitliche Beleuchtung in dieser Region gerätselt. Die Figuren des Freskos werden schräg von links unten beleuchtet, aber der Hals Gottes, der wie von einem Scheinwerfer angestrahlt wird, ist gerade und leicht von rechts beleuchtet. Wie lässt sich eine solche Ungeschicklichkeit des Weltmeisters der menschlichen Anatomie und des geschickten Darstellers des Lichts mit der Verpfuschung des Gottesbildes über dem Altar vereinbaren? Suk und Tamargo schlagen vor, dass der hässliche, von einem Kropf entstellte Hals Gottes kein Fehler, sondern vielmehr eine versteckte Botschaft ist. Sie argumentieren, dass Michelangelo nirgendwo sonst in einer der anderen Figuren seine anatomisch korrekte Darstellung des menschlichen Halses verpfuscht hat. Sie zeigen, dass, wenn man einen Ausschnitt von Gottes seltsamem, klumpigem Hals in der Trennung von Licht und Dunkelheit mit einer Fotografie des menschlichen Gehirns von unten betrachtet überlagert, die Linien von Gottes Hals genau die Merkmale des menschlichen Gehirns nachzeichnen.

Es gibt noch etwas anderes Seltsames an diesem Bild. In der Mitte von Gottes Gewand zieht sich eine Stoffrolle auf merkwürdige Weise nach oben. Die Kleidung ist hier so gebündelt, wie man es sonst nirgendwo sieht, und die Falte steht im Widerspruch zu dem, was der natürliche Faltenwurf des Stoffes über Gottes Oberkörper wäre. Tatsächlich, so stellen sie fest, handelt es sich um das menschliche Rückenmark, das zum Hirnstamm in Gottes Hals aufsteigt. An der Taille Gottes verdreht sich das Gewand wieder in einer eigentümlich zerknitterten Weise und enthüllt die Sehnerven von zwei Augen, genau wie Leonardo da Vinci sie in seiner Illustration von 1487 dargestellt hatte. Da Vinci und Michelangelo waren Zeitgenossen und kannten die Arbeiten des jeweils anderen.

Das Rätsel ist, ob diese neuroanatomischen Merkmale versteckte Botschaften sind oder ob die Sixtinische Kapelle ein Rorshach-Test ist, aus dem jeder ein für ihn aussagekräftiges Bild entnehmen kann. Die Autoren der Studie sind schließlich Neuroanatomen. Die Neuroanatomie, die sie an der Decke sehen, ist vielleicht nichts anderes als der Mann auf dem Mond.

Aber Michelangelo hat anderen Wissenschaftlern zufolge auch andere anatomische Merkmale an der Decke dargestellt, insbesondere die Niere, die Michelangelo vertraut war und ihn besonders interessierte, da er an Nierensteinen litt.

Wenn die versteckten Figuren beabsichtigt sind, was bedeuten sie dann? Die Autoren sträuben sich gegen Spekulationen, aber ein großer Künstler gibt in einem Kunstwerk nicht einfach einen Gegenstand wieder, sondern ruft durch Symbolik eine Bedeutung hervor. Ist „Die Trennung von Licht und Dunkelheit“ ein künstlerischer Kommentar zu dem andauernden Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion? Erinnern wir uns daran, dass dies das Zeitalter war, in dem der Mönch Kopernikus von der Kirche angeprangert wurde, weil er die Theorie aufstellte, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Es war eine Zeit des Kampfes zwischen wissenschaftlicher Beobachtung und der Autorität der Kirche und eine Zeit des heftigen Konflikts zwischen Protestanten und Katholiken.

Es ist kein Geheimnis, dass Michelangelos Beziehung zur katholischen Kirche angespannt war. Der Künstler war ein einfacher Mann, aber er verabscheute die Opulenz und Korruption der Kirche. An zwei Stellen des Meisterwerks hinterließ Michelangelo Selbstporträts – beide zeigen ihn in der Folter. Er gab dem bei lebendigem Leib gehäuteten Märtyrer Bartholomäus und dem abgetrennten Kopf des Holofernes, der von Judith verführt und enthauptet wurde, sein eigenes Gesicht.

Michelangelo war ein frommer Mensch, doch später im Leben entwickelte er einen Glauben an den Spiritualismus, für den er von Papst Paul IV. verurteilt wurde. Der Grundgedanke des Spiritualismus ist, dass der Weg zu Gott nicht ausschließlich über die Kirche, sondern durch direkte Kommunikation mit Gott gefunden werden kann. Papst Paul IV. interpretierte Michelangelos Jüngstes Gericht, das 20 Jahre nach der Fertigstellung der Decke an die Wand der Sixtinischen Kapelle gemalt wurde, als Verunglimpfung der Kirche, da es suggeriere, dass Jesus und die Menschen um ihn herum direkt mit Gott kommunizierten, ohne die Kirche zu benötigen. Er setzte Michelangelos Rente aus und ließ Feigenblätter über die Akte auf dem Fresko malen. Auf Wunsch des Künstlers wurde Michelangelos Leichnam nicht auf dem Gelände des Vatikans, sondern in einer Gruft in Florenz beigesetzt.

Vielleicht geht es in der Sixtinischen Kapelle nicht darum, dass Gott Adam Intelligenz schenkte, sondern dass Intelligenz und Beobachtung und das körperliche Organ, das sie ermöglicht, ohne die Notwendigkeit der Kirche direkt zu Gott führen. Das Material ist reich an Spekulationen, und die neuen Erkenntnisse werden zweifellos zu endlosen Interpretationen führen. Vielleicht werden wir die Wahrheit nie erfahren, aber in der Trennung von Licht und Dunkelheit verbindet Michelangelos Meisterwerk die Welten der Kunst, der Religion, der Wissenschaft und des Glaubens in einem provozierenden und ehrfurchtgebietenden Kunstwerk, das auch ein Spiegel sein kann.

Bilder aus „Concealed Neuroanatomy in Michelangelo’s Separation of Light From Darkness in the Sistine Chapel,“ von Ian Suk und Rafael J. Tamargo in Neurosurgery, Vol. 66, No. 5, pp. 851-861.