Reconstructionism
Reconstructionism, im amerikanischen Judentum, 1922 gegründete Bewegung und Ideologie, die davon ausgeht, dass das Judentum im Wesentlichen eine religiöse Zivilisation ist, deren religiöse Elemente rein menschliche, naturalistische Ausdrucksformen einer bestimmten Kultur sind. Da der Rekonstruktivismus die Vorstellung eines transzendenten Gottes ablehnt, der einen Bund mit seinem auserwählten Volk geschlossen hat, akzeptiert er die Bibel nicht als inspiriertes Wort Gottes.
Die Grundsätze des Rekonstruktivismus wurden erstmals von Rabbi Mordecai M. Kaplan (1881-1983) in seinem Buch Judaism as a Civilization (1934) öffentlich dargelegt. Kaplan vertrat die Ansicht, dass es für das Überleben der Juden in der heutigen Zeit, insbesondere in den Vereinigten Staaten, notwendig sei, ihr Leben auf der kulturellen Grundlage eines historischen Volkstums neu zu gestalten. Dieser neue Bund würde dazu dienen, alle Juden zu vereinen, unabhängig von ihren individuellen religiösen Überzeugungen und Praktiken. Da kulturelle Bindungen für das Judentum grundlegender sind als religiöse Doktrinen, können alle Juden ein unverwechselbares jüdisches Leben führen, ohne notwendigerweise religiös jüdisch zu sein.
Um ihre Identität zu bewahren und zu stärken, sollten Juden laut Kaplan alle Elemente ihrer Geschichte (z. B. Sprache, Kunst, Rituale) pflegen, die ihr gemeinsames Erbe unterstreichen. Juden müssen aber auch lernen, die Vielfalt als Bereicherung des jüdischen Lebens zu respektieren. Sie müssen bereit sein, ständigen Wandel und Kreativität als normale Zeichen von Vitalität und Wachstum zu akzeptieren. In einem solchen Kontext können alle Juden aktiv am jüdischen Leben teilnehmen und sich gleichzeitig frei mit anderen Völkern vermischen. Darüber hinaus können sie andere mit traditionellen Idealen wie der Einheit der gesamten Menschheit inspirieren und so die Sache der universellen Freiheit, Gerechtigkeit und des Friedens fördern. Der Rekonstruktionismus unterstützt nachdrücklich den Staat Israel, nicht als ideale Heimat für alle Juden, sondern als Wiege der jüdischen Zivilisation und als Anlaufstelle für Juden in der ganzen Welt.
Obwohl Kaplans Ansichten in mancher Hinsicht extremer waren als die des Reformjudentums, war er lange Zeit mit dem konservativen Judentum am Jewish Theological Seminary of America in New York City verbunden und wurde von seinen Kollegen hoch geachtet. Orthodoxe Rabbiner konnten seine Lehren jedoch nicht gutheißen, und die Union der orthodoxen Rabbiner erklärte Kaplans Ansichten für völlig inakzeptabel.
Die Rekonstruktionisten, die im späten 20. Jahrhundert etwa 60.000 Mitglieder zählten, kommen hauptsächlich aus den Reihen der konservativen und der Reformbewegung. Ihre Liturgie ähnelt der der Konservativen, bis auf die Hinzufügung einiger zusätzlicher mittelalterlicher und moderner Elemente. Die zweiwöchentlich erscheinende Zeitschrift Reconstructionist, die von der Jewish Reconstructionist Foundation herausgegeben wird, ist seit 1935 das wichtigste Sprachrohr der Bewegung.