Solipsismus

I. Definition

Solipsismus ist die Überzeugung, dass es nichts außerhalb des eigenen Geistes gibt. Es ist eine seltsame Ansicht, die nur sehr wenige Menschen ernsthaft vertreten haben, aber sie ist erstaunlich schwer zu widerlegen und daher ein schwieriges Problem in der Geschichte der westlichen Philosophie. Wenn man den Solipsismus versteht, kann man auch eines der zentralen Probleme der Philosophie verstehen: die Grenzen zwischen dem Selbst und der Welt.

Psychologen glauben, dass wir alle als Solipsisten ins Leben starten. Im Moment der Geburt kann ein Baby seine Umgebung kaum wahrnehmen, so dass seine Wahrnehmungen ausschließlich intern sind. Sehr junge Säuglinge können unter Umständen nicht zwischen ihrem eigenen Körper und äußeren Objekten unterscheiden. Mit zunehmendem Alter lernen Babys die Grenzen ihres eigenen Körpers kennen und entwickeln langsam ein Bewusstsein für die Außenwelt.

Aber auch dann gibt es noch einige Macken – Sie haben sicher schon einmal gesehen, wie Eltern mit Babys „Guck-guck“ spielen. Warum ist dieses einfache Spiel für Babys so amüsant? Die Antwort liegt darin, dass es Babys an dem mangelt, was Psychologen „Objektpermanenz“ nennen, d. h. sie glauben, dass nur die Dinge in ihrem unmittelbaren Blickfeld existieren; wenn etwas versteckt wird, glaubt das Baby, dass es nicht mehr existiert. Wie wir sehen werden, hat der philosophische Solipsismus einige überraschende Gemeinsamkeiten mit dem Denken von Babys.

II. Arten von Solipsismus

Solipsismus gibt es in allen drei großen Zweigen der Philosophie:

Epistemologischer Solipsismus:

In der Philosophie des Wissens (Epistemologie) ist Solipsismus die Vorstellung, dass wir nichts außerhalb unseres eigenen Verstandes wissen können. Solipsisten argumentieren, dass das einzig wahre Wissen das ist, was wir über unser eigenes inneres Denken wissen. Alles andere ist ungewiss und nicht vertrauenswürdig. Dies ist die am weitesten verbreitete Form des Solipsismus. Der erkenntnistheoretische Solipsismus kann auch bedeuten, dass man das einzige Wesen im Universum ist, das zu Wissen fähig ist (siehe letzter Abschnitt), was eine etwas andere Position ist.

Ethischer Solipsismus

In der Ethik ist der Solipsismus die Vorstellung, dass das Selbst das Einzige ist, das moralisch zählt. Die moralische Entscheidung besteht darin, in jeder Situation das zu tun, was man für sich selbst für das Beste hält, ohne Rücksicht auf andere. Fast niemand verteidigt den ethischen Solipsismus direkt, aber einige Philosophen haben Ideen vertreten, die (in den Augen ihrer Kritiker) zu ethischem Solipsismus führen können. Man kann also jemanden kritisieren, indem man ihn des ethischen Solipsismus beschuldigt, aber nur wenige Menschen würden dieses Etikett bereitwillig akzeptieren.

Metaphysischer Solipsismus

In der Metaphysik oder der Philosophie der Realität ist Solipsismus die Vorstellung, dass nur das Selbst existiert. Dem Solipsismus zufolge bin ich das einzig Wirkliche im Universum, und alles, was ich außerhalb meiner selbst sehe, ist eine Illusion. Dies impliziert, dass auch die anderen Formen des Solipsismus wahr sind – wenn ich das Einzige bin, was existiert, dann bin ich eindeutig das Einzige, was ethisch von Bedeutung ist, und auch das Einzige, was man wissen kann.

III. Solipsismus vs. Nihilismus

Die Leute verwechseln oft Solipsismus mit Nihilismus, aber in Wirklichkeit sind es ganz unterschiedliche Philosophien. Wenn Menschen „Nihilist“ sagen, meinen sie oft „moralischer Solipsist“. Doch der Nihilismus geht noch einen Schritt weiter als der Solipsismus: Für den Solipsismus zählt nur das Selbst, für den Nihilismus zählt nicht einmal das Selbst. Nihilismus ist die Ansicht, dass absolut nichts zählt.

Ob er nun wahr ist oder nicht, es ist fast unmöglich, konsequent an den Nihilismus zu glauben. Wäre man wirklich ein Nihilist, würde man das Bett nie verlassen – man würde sich nicht einmal im Bett umdrehen, um es sich bequemer zu machen. Sobald Sie Ihren Körper in eine bequemere Position bringen, zeigen Sie, dass Ihnen zumindest eine Sache wichtig ist: sich bequemer zu fühlen. Sobald Sie etwas essen oder den Mund zum Sprechen öffnen, zeigen Sie wiederum, dass Ihnen etwas wichtig ist.

Damit kommen wir natürlich nicht sehr weit. Man kommt damit nur bis zum Solipsismus, und die meisten Menschen würden gerne sowohl den Nihilismus als auch den Solipsismus überwinden. Es zeigt jedoch, dass fast jeder „Nihilist“ in Wirklichkeit ein Solipsist ist, und nicht etwa ein Nihilist.

IV. Zitate über Solipsismus

Zitat 1

„Die heute unter 40-Jährigen haben verschiedene Schrecken, unter denen Anomie und Solipsismus und eine eigentümlich amerikanische Einsamkeit hervorstechen: die Aussicht, zu sterben, ohne einmal etwas mehr geliebt zu haben als sich selbst.“ (David Foster Wallace)

David Foster Wallace war ein bekannter Sozialkritiker und Romanautor, der in den 1990er Jahren über die amerikanische Kulturlandschaft schrieb. Wallace stellte fest, dass die Kultur in Solipsismus versunken war: Jeder versuchte nur, Reichtum und Sicherheit für sich selbst anzuhäufen, ohne Rücksicht auf höhere Prinzipien oder eine größere Suche nach Sinn. Er argumentierte, dass die jüngere Generation gegen diesen Solipsismus rebellierte, indem sie sich der gegenkulturellen Musik und Kunst zuwandte, wie es ihre Eltern in den 1960er Jahren getan hatten.

Zitat 2

„Jeder sieht nur sein eigenes Spiegelbild im Spiegel der Gedanken.“ (Marty Rubin)

In diesem Zitat drückt der Schriftsteller Marty Rubin eine Art erkenntnistheoretischen Solipsismus aus. Seiner Ansicht nach können wir den Verzerrungen und Beschränkungen einer individuellen Perspektive nie ganz entkommen, so dass unser Wissen immer etwas Solipsistisches hat, egal wie sehr wir versuchen, die Welt objektiv wahrzunehmen.

V. Geschichte und Bedeutung des Solipsismus

Das erste überlieferte Beispiel des Solipsismus stammt von Gorgias, einem griechischen Philosophen, der etwa zur gleichen Zeit wie Sokrates lebte. Gorgias soll seine Philosophie auf drei Behauptungen gestützt haben:

  1. Nichts existiert
  2. Selbst wenn etwas existiert, können wir nichts darüber wissen
  3. Selbst wenn wir etwas wissen könnten, können wir unser Wissen nicht mitteilen.

Jede dieser Behauptungen ist eine andere Form des Solipsismus – Gorgias‘ Argument ist also wie eine russische Schachtelpuppe, bei der jede Schicht des Solipsismus eine andere enthält. Allerdings wurde das Argument von anderen Philosophen zu dieser Zeit wahrscheinlich nicht sehr ernst genommen. Gorgias galt als Sophist, also als jemand, der darin geschult war, elegante, attraktive Argumente vorzubringen, aber nicht darauf zu achten, ob sie wahr waren oder nicht.

Wie wir es beschrieben haben, ist der Solipsismus ein einzigartiges Merkmal der westlichen Philosophie. Viele indische und chinesische Philosophien/Religionen haben jedoch Vorstellungen vom Selbst, die dem Solipsismus ähneln können. Der Zen-Buddhismus zum Beispiel lehrt, dass es keine Grenze zwischen dem Selbst und der Welt gibt; das Ziel der Zen-Meditation ist es, die Unterscheidung zwischen „Ich“ und allem anderen zu vergessen. Auf den ersten Blick mag das wie Solipsismus aussehen, aber in Wirklichkeit ist es das Gegenteil. Während der Solipsismus das Universum auf den individuellen Geist reduziert, löst die Zen-Meditation den Geist im Universum auf. Mit anderen Worten: Der Solipsismus stellt die Existenz von allem außerhalb des Selbst in Frage; Zen stellt die Existenz des Selbst in Frage.

VI. Solipsismus in der Populärkultur

Beispiel 1

Im Webcomic Saturday Morning Breakfast Cereal gibt es einen Comic über die Art von Solipsismus, die von Babys erlebt wird. In dem Comic schwimmt ein Baby in einem Meer des Nichts, in dem die gesamte Realität verschwunden ist. Es stellt sich heraus, dass der Vater des Babys nur Kuckuck spielt, was das Baby dazu veranlasst, zu glauben, dass nichts existiert (aufgrund der fehlenden „Objektpermanenz“).

Beispiel 2

„Ich denke nur, wenn du wirklich darüber nachdenken würdest, würdest du dich entscheiden, dein Haus auf einem anderen Hügel zu bauen.“
„Und…warum sollte ich das tun?“
„Weil… tief in deinem Inneren wirst du erkennen, dass du ein ganzes Dorf aus seinem Zuhause vertreibst, nur für dich.“
„Und das ist… schlecht?“

(Kuzco und Pacha, The Emperor’s New Groove)

Am Anfang von The Emperor’s New Groove ist Kaiser Kuzco so ziemlich die egoistischste Person, die man sich vorstellen kann. In diesem Gespräch zeigt er, dass er eigentlich ein moralischer Solipsist ist – er will die Dorfbewohner nicht nur aus ihren Häusern vertreiben, er sieht nicht einmal etwas Falsches in diesem Verhalten. Kuzcos Sichtweise ist natürlich nicht philosophisch begründet, aber sie ähnelt der Philosophie des Solipsismus.

VII. Kontroversen

Das Problem der anderen Köpfe

Woher weiß man, dass andere Menschen Köpfe haben? Das heißt, woher wissen Sie, dass sie bewusste Erfahrungen, Gefühle usw. haben, so wie Sie selbst? Was wäre, wenn alle Menschen um Sie herum eine Art biologischer Roboter wären, identisch mit einem bewussten menschlichen Wesen, aber ohne Bewusstsein? Solche Wesen würden sich genauso verhalten wie bewusste Menschen, und es gäbe keine Möglichkeit zu beweisen, ob sie Gefühle und Bewusstsein haben oder nicht.

In der Philosophie ist dies als das „Problem der anderen Köpfe“ bekannt. Bislang hat noch niemand einen Weg gefunden, zu beweisen, dass andere Menschen ein inneres Bewusstsein haben. Aber die Philosophen sind sich uneins darüber, was das genau bedeutet. Für einige bedeutet es, dass eine Form des Solipsismus wahr sein muss. Wenn man nicht beweisen kann, dass andere Menschen einen Verstand haben, dann kann man auch nicht wissen, dass sie einen haben. Dies würde bedeuten, dass Sie das einzige Wesen im Universum sind, das zu Wissen fähig ist!

Es gibt viele Antworten auf diese Ansicht, aber zwei sind besonders überzeugend: Erstens könnte man sagen, dass Bewusstsein beobachtbar ist. Einige Philosophen und Neurobiologen argumentieren, dass wir den biologischen Mechanismus, der das Bewusstsein hervorbringt, irgendwann verstehen werden, so dass wir irgendwann in der Lage sein werden, das Gehirn zu scannen und zu beweisen, dass die Person bewusste Erfahrungen macht.

Alternativ könnte man ein pragmatischeres Argument für die Existenz anderer Gehirne anführen. Wenn es im praktischen Leben keinen Unterschied macht, dann macht es nach der Philosophie des Pragmatismus überhaupt keinen Unterschied. Das pragmatische Argument geht also in etwa so: OK, nehmen wir einmal an, dass andere Menschen kein Bewusstsein haben. Wird dies Ihr Verhalten ändern? Würden Sie Ihr Leben anders leben? Ein Pragmatiker würde sagen: „Nein“ – das Vorhandensein oder die Abwesenheit eines anderen Bewusstseins macht keinen Unterschied für unser Verhalten, solange die anderen Wesen um uns herum sich so verhalten, als hätten sie ein Bewusstsein.